Medina: Auf den Spuren des Propheten
- Bernd
- 6. Feb.
- 8 Min. Lesezeit
Medina, einst verbotene Stadt Saudi Arabiens
2024

الحب هو الدعاء الذي لا يجاب عادة
Liebe ist das Gebet, das normalerweise unbeantwortet bleibt.
Arabisches Sprichwort
"Wenn Du leben willst, suche den Tod"
Ja,, geht´s denn noch depressiver??? Ich habe gerade nicht meine Tabletten dabei!!! Wir haben August! Ist denn schon Weihnachten? Oder bin ich auf einem Philosophentreffen?
Das jedenfalls geht mir durch den Kopf, als ich unfreiwillig im Café dem Gespräch zweier Backpacker lausche. Sie schwärmen von der bis 2018 - oder war es 2019? - verbotenen zweitheiligsten Stadt des Islam. Die Rede ist von Medina, auch unter dem Namen Al Madinah bekannt.

Eigentlich war meine Reise in Jeddah, Saudi Arabien, beendet. Aber wann hat man schon die Gelegenheit dem Tod zu begegnen, der einem das Leben schenkt?
Warum also nicht?
Ich buche spontan einen Flug mit Saudia von Jeddah nach Medina, jene Stadt, in die der Prophet Mohammed, Gott hab ihn selig, geflohen war und in der er 632 n. Chr. begraben wurde.
Medina: Auf den Spuren des Propheten
Die Stadt Medina, die Stadt des Propheten in Saudi Arabien, zählt knapp 1,5 Millionen Einwohner. Sie hat - zumindest für mich - nicht den Charme von Jeddah. Der Islam ist mit seinen millionenfachen Pilgern allgegenwärtig. Ähnlich wie in Jerusalem ist die Religion zur Industrie mutiert, ein Milliardengeschäft. All die Souvenirläden, Hotels, Pensionen, Restaurants, Reiseagenturen und was weiß ich noch alles, leben davon.

Ich bin ein Fremdkörper, ein Ungläubiger, dessen Seele in ihren Augen verloren ist, weil ich mich nicht ihrer moralgeschwängerten Ideologie unterwerfe. So verwegen funktioniert jede monotheistische Religion.
Was mich weniger ängstigt ist die Religion an sich. Jede Religion spendet Trost. Zumindest sollte es so sein. Nein, mich ängstigt dieser Fanatismus, sei er nun religiös oder politisch bedingt. Ihre irdische Existenz kennt nur Schwarz oder Weiß. Der Drang alles und jeden zu missionieren ist zwanghaft: gehorche oder du stürzt in den Abgrund der Hölle.

Medina: Auf den Spuren des Propheten. Das ist mehr als nur ein touristisches Programm. Für die Pilger ist es Berufung, Aufgabe und Pflicht. In den Augen der Menschen, mit denen ich gesprochen habe, ist eine andere Glaubensrichtung abwegig und falsch. Religion ist hier, in dieser heiligen Stadt, Teil der DNA, quasi omnipräsent. Alles dreht sich nur noch um den Islam. Und um die Geschäfte, die sie damit machen. So wie die Christen in Jerusalem. Sagte ich bereits.

Immerhin fand der Prophet, Friede sei mit ihm, wie die Gläubigen zu sagen pflegen, hier in Medina Schutz vor seinen Verfolgern aus Mekka. Hier entstand die Keimzelle des Islam. Und nicht weit von Medina, kam es 625 n. Chr. zur entscheidenden Schlacht von Uhud. Der Prophet besiegte das zahlenmäßig überlegene Heer seiner Verfolger aus Mekka. Eine Weltreligion entstand.
Warum müsst Ihr Euch immer gleich in die Luft sprengen?

Wer sich näher für die Geschichte des Islam interessiert, kann hier im Museum As Safiyyah, nicht weit der Prophetenmoschee, eine Führung buchen. Ich mache davon Gebrauch und lasse mich von einem 22-Jährigen aus Frankreich leiten, der marokkanische Eltern hat.

Die Führung ist im Grunde eine Propagandaveranstaltung für den Islam. Fast schon mystisch ist die Beleuchtung im Innern des Museums. Die Bilder, die an die Wände projiziert werden, sind fast von einer naiven Schlichtheit, ähnlich wie bei den Zeugen Jehovas. Es wird über den Ursprung und die Entstehung des Islam als friedensbringende Religion doziert. Mein Guide ist sympathisch, ruhig und spricht ein sehr gutes Englisch.
Er stellt fest, dass wir mit dem Juden- und Christentum einige Gemeinsamkeiten haben: Abraham oder Jesus, der im Islam ein wichtiger Prophet ist. Neben dem Museum sind hier auch Geschäfte, Cafés und Restaurants untergebracht. Am Ende der Führung lädt mich mein Guide zum Essen ein. Ich nehme dankend an.

Er erzählt mir von seinen schlechten Erfahrungen, die er als gläubiger Muslim in Frankreich gemacht hat. Er fragt mich, ob ich gläubig sei. Keine einfache Frage für mich, angesichts der Gräueltaten, die die Christen im Namen Jesu begangen haben.
Ich beantworte seine Frage mit Ja. Allerdings nicht im herkömmlichen Sinn. Mein Gott ist keine allgegenwärtige strafende Spaßbremse.
Und was Jesus betrifft, bin ich mir nicht sicher, ob wir Christen auch nur ansatzweise seine Botschaft verstanden haben. Er nickt und starrt mich an wie die Schlange das Kaninchen.
Ich kontere und nehme Bezug auf seine schlechten Erfahrungen in Frankreich:
Vielleicht solltet ihr euch im Namen eures Gottes und seines Propheten nicht immer gleich in die Luft sprengen, andere enthaupten oder abstechen. Gerade wurde in Deutschland wieder ein Polizist in Mannheim erstochen. Er reagiert gelassen, sagt, das diese Menschen, die solche Taten begehen, keine gläubigen Muslime sind. Sie missbrauchen ihren Glauben für ihre Straftaten. Wow! Damit habe ich jetzt nicht gerechnet! Aber meint er das auch so? Immerhin: Wir tauschen Positionen aus und hören einander zu.

Er: Der Westen verfolgt eine Strategie der Doppelmoral, Stichwort: Palästinenser.
Ich: Dann nehmt ihr doch eure muslimischen Brüder auf, die bei uns kriminell werden.
Er: Der einzig wahre Glaube ist der gewaltfreie Islam und Mohammed ist sein Prophet, Friede sei mit ihm.
Ich: Stichwort Ehrenmorde an Frauen. Die Lehre Mohammeds ist mir zu brachial.
Ich erzähle ihm von meinem Gespräch mit Fatima. Siehe hierzu: https://www.skybirdfly.blog/post/der-palast-der-winde
Unsere Unterhaltung verläuft respektvoll. Wir vermeidet jede Form von Rechthaberei. Wie es scheint, wurde mein Guide rhetorisch exzellent geschult.

Wieder zurück am Hotel werde ich Zeuge einer lustigen Szene: Vor dem Pullman-Hotel zeigt ein kleiner Junge zum Leidwesen der Mutter begeistert auf ein künstliches, fast lebensgroßes Kamel und schreit: "Muuhh- Muuhhh!!!" "Nein!", unterbricht die Mutter ihn konsequent. "Das ist ein Määhh!"
Ich bin mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher, ob die Mutter richtig liegt, schweige aber, weil mir auch nicht einfällt, welche Töne Kamele von sich geben. So ist das eben: Drei Menschen, vier Interpretationen.

Uhud Mountain: am Abgrund
Ich möchte einen Ausflug zum Uhud Mountain, nördlich von Medina, unternehmen. Mehmet wird mich führen. Er bietet seine Dienste vor den großen Hotels an, verspricht mir unvergleichliche Erlebnisse. Also warum nicht?

Bevor Mehmet mit mir und seinem überdimensionierten wie suboptimalen SUV den gut 1000 m hohen Berg erklimmt, macht er einen Abstecher zu den Höhlen, die bis vor Kurzem noch besichtigt werden konnten.

Infolge kraftstrotzender wie übermütiger Touristen hat die Stadtverwaltung das Areal inzwischen abgesperrt.
Immer wieder kam es zu Unfällen.
Nicht weit davon kommt eine Frau mit einer Plastikschachtel auf mich zu und bietet mir einige Datteln an.

Ich nehme mir eine, bedanke mich und unterstelle ihr pure Gastfreundschaft.
So weit, so gut.
Nur nicht durchdrehen!
Anfangs ist es noch eine bescheidene Straße, die hoch ins Gebirge führt. Dann mutiert die Straße zur Schotterpiste und schlängelt sich schließlich ordinär in Richtung Gipfel, mit schroffen Abgründen auf der einen und nackigen Felswänden auf der anderen Seite. Beide Seiten verheißen nichts Gutes.

Zugegeben, es gibt höhere Bergpässe. Aber hier auf dem Schotter drehen die Räder des SUV immer wieder durch.
„Willst du nicht Allrad aktivieren?“ frage ich Mehmet um Gelassenheit bemüht.
„Dieser Wagen hat kein Allrad.” seine Antwort, ebenfalls um Gelassenheit bemüht.
„Achso.“
„Ja.“
Konzentrierte Stille.
“Wie oft bist du die Tour schon gefahren?“
„Das ist das erste Mal.“
Ich nicke verständnisvoll.
Bergauf ist die Tour noch einigermaßen ok. Ab und zu kommt ein anderes Fahrzeug entgegen. Dann wird es eng auf der Piste. Doch der Aufstieg belohnt uns mit einem Panorama auf die weiße Stadt Medina.

Wesentlich angespannter ist die Abfahrt. Nicht auszudenken, wenn das Fahrzeug ins Rutschen gerät und in die falsche Richtung, zum Abgrund, schlingert. Mehmet klebt angespannt am Lenkrad und ich sitze nicht weniger angespannt daneben. "Wenigstens hält das Wetter." nuschelt er mehr an sich selbst gerichtet. Innerhalb kürzester Zeit können hier Regenwolken reißende Sturzbäche verursachen.
Um welche Regenmassen es sich handelt, kann man anhand des nachfolgenden Bildes erahnen.

Das Wasser, das vom Gebirge hinabstürzt, versucht man hier zu kanalisieren, damit die Fluten nicht unkontrolliert durch den Ort rauschen.
Das mag sich vielleicht exotisch anhören, aber in der Wüste ertrinken mehr Menschen oder sie kommen durch mitgerissene Felsblöcke ums Leben.
Die Situation beginnt sich zu entspannen. Die unbefestigte Schotterpiste wird wieder breiter, mit mehr Spielraum für die Fahrer. Mehmet ist sichtlich stolz, fragt mich, ob ich vielleicht noch ein kurzes Video machen könne, das er dann seinen Freunden zeigen will. Unten parkt ein anderer Fahrer seinen Wagen und wartet, bis Mehmet vorbei ist.
Mir fallen die Worte der Backpacker wieder ein: "Wenn du leben willst, suche den Tod." Ehrlich gesagt, brauche ich derartige Herausforderungen nicht mehr. Es lebt sich auch so ganz angenehm.
Masjid Quba, die älteste Moschee der Welt
Mehmet will mir noch unbedingt die älteste Moschee der Welt zeigen und bringt mich nach Quba. Es beginnt bereits zu dämmern. Das Gebäude erstrahlt erhaben in den Nachthimmel. Zahlreiche Besucher strömen zum abendlichen Gebet.

Die Masjid Quba liegt am Stadtrand Medinas, wurde im 7. Jahrhundert erbaut und gilt als eine der heiligsten Stätte für Muslime weltweit. Der Legende nach soll der Prophet persönlich die ersten Steine aufgestellt haben. Die Alabasterstruktur aus weißem Marmor lässt die Moschee zeitlos erstrahlen. Sie wurde mehrfach renoviert und erweitert und kann bis zu 20.000 Menschen aufnehmen.

Die Moschee hat sechs Kuppeln und vier Minarette. Der Prophet besuchte den Überlieferungen nach jeden Samstag diesen heiligen Ort, um dort zu beten. Heute sind um die Moschee herum Geschäfte, Restaurants und Cafés zur Unterhaltung der Gläubigen.

Hier kann man gepflegt essen und trinken. Am Abend sind die Temperaturen angenehm warm. Entsprechen gut besucht ist die Gegend hier.

Die Prophetenmoschee al-Masdschid an-Nabawi

Der Höhepunkt der Tour ist das riesige, gut gesicherte Areal der Prophetenmoschee. Täglich strömen unzählige Menschen hierher zum Gebet. Sie ist neben Mekka eines der Zentren des islamischen Glaubens. Nicht-Muslime haben keinen Zutritt, weil sich hier gleichzeitig die Grabstätte Mohammeds befindet, Friede sei mit ihm.

Die Größe der Moschee lässt sich sehr gut vom nahegelegenen Pullman Hotel erfassen. Sie steht auf einer Fläche von 120.000 Quadratmeter oder etwas 16 Fußballfelder. Das Gelände ist mehr oder weniger abgeriegelt. Wer als Nicht-Muslim auf den Platz mit den markanten Sonnenschirmen geht, muss damit rechnen, von den zahlreichen Aufsehern mehr oder weniger freundlich zurückgeschickt zu werden.

Es existieren zahlreiche Gates, die man durchschreiten kann. Unter den Besuchern sind auch zahlreiche Gläubige aus anderen Ländern, so dass es für die Wächter nicht immer einfach ist, die Gläubigen von den Ungläubigen zu trennen.

Anfangs schlendere ich in gewohnter Touristenmanier über den Platz und werde keine fünf Minuten später sofort als Ungläubiger identifiziert und des Geländes verwiesen. Das ist aber auch beeindruckend, insbesondere die riesigen Sonnenschirme, die übrigens aus Deutschland stammen. Die Schirme haben eine Höhe von 20 Meter und wurden von der Firma Liebherr gebaut. Aufgespannt sind sie 25 mal 25 Meter groß. Vor ihrer Montage war es auf dem Platz unerträglich heiß, doch im Schatten der Schirme lässt es sich gemütlich schlendern.

Ich probiere mein Glück am folgenden Tag erneut und betrete das Gelände jetzt entschieden selbstbewusster, ab und zu mache ich einen kurzen Foto stopp. Mit Erfolg. Es gelingt mir, die Moschee fast vollständig im Schutz der Massen zu umrunden. Ehrlich gesagt beneide ich die Gläubigen ein wenig um ihre schlichte Ordnung einer - nennen wir es - devoten Gottesfürchtigkeit. Die Pilger eint ein unsichtbares Band der Verbundenheit, das all zu leicht für jene zur Fessel wird, die aus dem Rahmen fallen (möchten).

Meine Reise neigt sich dem Ende. Saudi Arabien und die Freundlichkeit der Menschen hat mich beeindruckt. Ich hatte mich zu keiner Zeit bedroht gefühlt.
Natürlich bin ich mir bewusst darüber, dass es Menschenrechtsverletzungen in diesem Land gibt. Natürlich kann man vieles kritisieren. Und natürlich ist meine Art zu reisen ein Privileg. Das Land ist gerade dabei, sich touristisch zu öffnen. So what?
Moralische Überheblichkeit löst aus meiner Sicht keines der weltweiten Probleme. Der offene, aber respektvolle Austausch von Standpunkten im direkten Kontakt mit den Menschen erweitert unseren Horizont und kann einen Beitrag dazu leisten, gegenseitige Vorurteile abzubauen.
Abgesehen davon haben wir in Deutschland wahrlich genug eigene Probleme. Friede sei mit Euch.
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