Panne auf dem Nil
- Bernd
- 30. Mai 2024
- 7 Min. Lesezeit
ist besser, als Tod auf dem Nil
Es gibt Orte
an denen man
immer wieder zurückkommen möchte.
Luxor ist so ein Ort.
2013

Ich sitze mit einer Shisha in meinem Stammlokal an der Westseite des Nils, draußen, mit direktem Blick auf das Wasser. Segelboote gleiten im Abendlicht dahin. Zeitlos. Jene Momente katapultieren mich weit zurück in die Zeit der Pharaonen. Sie begründeten hier 1500 Jahre vor Chr. eine Hochkultur, die Wiege der Zivilisation. Ok, eine davon. Es ist wahrlich ein magischer Moment. Der Nil ist die Lebensader Ägyptens. Damals wie heute. Und ich werde - jetzt, in diesem Moment - zum Teil dieser grandiosen Kultur.

Die meisten der Touristen wohnen an der Ostseite Luxors. Fast alle großen Hotels sind dort. Ich habe mir eine Ferienwohnung in Sichtweise des Nils gemietet. Die meisten Reisenden machen einen Abstecher zur Westseite, wenn sie das Tal der Könige, des altägyptischen Theben, besuchen.

Hier kommt mir das Leben etwas beschaulicher vor. Ein guter Ort zum Verweilen. Kennen Sie das? Sie besuchen einen Ort und spüren das Leben. Durch ihren Körper strömt pure Energie. Sie haben das flüchtige Gefühl, angekommen zu sein. So ist es, für einen Augenblick, in diesem Moment.
Vom Luxus der Ziellosigkeit

Gestatten Sie mir, Sie beim Lesen dieser Reise ein wenig zu entschleunigen. Ich war oftmals auf Action, auf die Superlative, programmiert. Selbst im Urlaub: Am Strand, beim Sport, in meinen Gesprächen. Bei der Abarbeitung touristischer Programmpunkte. Ich bespaßte andere und wollte selbst bespaßt werden. Jetzt nicht. Ich kämpfe gegen meinen Aktionismus, gegen die Rastlosigkeit, an.
Welcher Ort wäre passender als die Gegend um Luxor? Zuerst schaue ich mir den Stadtteil an, laufe zum Hafen, wo gerade eine Fähre anlegt. Hier pendeln Passagiere, Waren und Dienstleistungen zwischen der West- und Ostseite. Mische mich unters Volk. Mal sehen, was kommt.

Ich nehme für umgerechnet 10 Cent die Fähre und fahre an die Ostseite der Stadt. Lasse mich treiben. Die Schlepper, die mir eine Segeltour auf dem Nil zu spektakulären Preisen anbieten sind etwas penetrant. Die Geschäfte scheinen schlecht zu gehen. Nicht anders sind die Pferdekutschenfahrer. Einer fährt mir beharrlich ein gutes Stück an der Promenade entlang hinterher. Ich ignoriere ihn. Dort wo viele Touristen sind wird jeder von ihnen zum wandernden Geldautomaten. An der Westseite ist es bedeutend entspannter.

Ein Jugendlicher badet sein widerspenstiges Pferd im Nil. Er erscheint mir etwas angespannt. Inzwischen kehrt auch mein Stalker seine Kutsche um, nicht ohne mir auf Arabisch alle erdenklichen Verwünschungen hinterher zu rufen. Das Leben kann so entspannt sein, wenn man nichts versteht. Göttlich.
Diese kleine Rotznase!
Ich setz mich auf den Rand der Promenade, schaue aufs Wasser. Hinter mir spielt eine Gruppe Kinder lautstark Fußball. Etwas Abseits davon steht ein missgelaunter, etwa dreijähriger Junge. Er entdeckt mich und kommt brabbelnd auf mich zugelaufen. Er streckt mir seine offenen Handflächen entgegen. Früh übt sich der Meister des Bettelns. Ich sehe keinen Grund, ihm etwas zu geben. Woraufhin er unerwartet heftig mit seinen kleinen Patschhändchen auf meinen Kopf einschlägt. Das macht mich stutzig, um es mit Heinz Erhardt zu sagen. Als ich drei bis fünfmal gestutzt hatte, stehe ich auf, was ihn aber nicht sonderlich interessiert.

Denn jetzt hat er Zugang zu einer wesentlich potenteren Stelle. Verzweifelt wehre ich seine Attacken ab als mich endlich die Stimme eines Erwachsenen - vermutlich der Vater - erlöst. Diesmal bin ich es, der dem Bengel - allerdings annähernd lautlos - unfreundliche Wörter hinterherschickt. So ein Pascha, so eine Rotznase. Wie wird der zwölf Jahre später agieren?
Mohamed und Mohamad

Ich bin auf dem Weg zum Luxor Museum für altägyptische Kunst an der Uferpromenade, der Corniche el-Nil, am Ostufer. Es verfügt über sorgfältig ausgewählte Ausstellungsstücke des Alten Reiches. Es zeigt u.a. einige Artefakte Tutanchamuns, aus dem Tal der Könige, außerdem Mumien von Ahmose I und Ramses I. Angetrieben von meinem schlechten Gewissen angesichts dieser historischen Pracht hier in Luxor meine Zeit nur mit Essen, Herumlaufen und Shisharauchen zu verbringen. Wohin ich auch sehe, Luxor lebt von seiner historischen Vergangenheit. Ich möchte nicht als Kulturbanause dastehen, der all diese Pracht hier ignorieret.

Nicht weit vom Museum entfernt spricht mich in einem traditionell weißen Baumwollgewand Mohamed an. Er ist nicht so plump wie die anderen. Außerdem kann er etwas Englisch. Er bietet mir zusammen mit seinem Cousin Mohamad eine Tour mit einer Feluke auf dem Nil an. Ich lehne mit dem Hinweis ab, dass ich auf dem Weg ins Museum sei. Das wäre kein Problem, meint er lächelnd, sie können auf mich warten. Ok, warum nicht. Sicher ganz nett, auf dem Nil.
Als ich aus dem Museum komme, warten beide Jugendliche zusammen mit ihrem Onkel auf mich. Wir handeln einen Preis aus und segeln in den ägyptischen Abend. Langsam versinkt die Sonne im Nil, taucht den Himmel und das Wasser in goldgelbe Farben. Mohamed erklärt mir, dass sie nicht direkt in Luxor wohnen, sondern etwas außerhalb. In diesem Jahr, so sagt er, sind nur wenige Touristen nach Ägypten gekommen. Wegen der Terroranschläge. Es kommt so gut wie kein Nilkreuzfahrtschiff aus Kairo mehr an. Er fragt, ob ich ihn und seine Familie besuchen käme. Das erscheint mir aber im Augenblick etwas zu gewagt und lehne dankend ab. Später ärgere ich mich über meine Zögerlichkeit. Während ich noch gedankenversunken in den Abendhimmel blicke, bereitet der Onkel der beiden einen Tee zu und reicht mir eine kleine Tasse aus Glas.

Am Ende verabschieden wir uns herzlich, verabreden uns für den nächsten Tag zum Frühstück in meinem Stammlokal am Nil auf der Westseite. Mohamed möchte gerne seine Englischkenntnisse auffrischen.
Reif für die Insel

Ich habe mich etwas mit Mohamed und Mohamad angefreundet. Sie wollen wissen wie das Leben in Deutschland ist. Es fällt mir schwer, darauf zu antworten. Zu unterschiedlich sind die Lebenskonzepte. Zusammen mit Ibu, dem Restaurantbesitzer, der sich an unseren Frühstückstisch zu uns gesellt, sprechen wir über Dubai. Sie bewundern den Wohlstand und Erfolg dort. Ibu meint, dadurch, dass viele hier nicht richtig Lesen und Schreiben können, ist das Weltbild der einfachen Menschen sehr begrenzt.
Sie hängen an den Lippen der Chatip, der Freitagsprediger, glauben ihnen jedes Wort.
Mohamed und Mohamad wollen mich heute Nachmittag mit einer Bootstour überraschen. Ihr Chef hat ihnen ein motorisiertes Touristenboot überlassen. Sie sollen irgendwann eine Gruppe an das Westufer bringen. Doch zuvor wollen sie mich zu einer Tour abholen.

Sie halten Wort. Die Tour führt uns auf dem wenig befahrenen Nil entlang zu einer abgelegenen Insel. Ich komme mir etwas verloren an Bord vor, bei so viel Platz. Mohamad springt ans Ufer und sichert das Boot. Sie haben mitbekommen, das ich ab und zu Shisha rauche und machen sich ans Werk. Mohamed zieht eine Plastiktüte hervor und packt alle Utensilien für eine Shisha aus. Und dann sagen sie mir freundlich lächelnd, das diese Shisha ein Geschenk für mich ist. Ich bin sprachlos.
Zuerst beginnt Mohamed damit, ein kleines Feuer zu entfachen. Anschließend erhitzt er die Kohle, präpariert den Pfeifenkopf und kurz darauf sitzen wir rauchend auf der einsamen Robinsoninsel. Mehr Urlaub geht im Augenblick nicht.
Auf dem Nil
Mohamed, Mohamad und ich haben uns gefunden. Sie laden mich zu einer weiteren Flusskreuzfahrt mit dem Touristenkutter ihres Chefs ein. Der Tag könnte nicht schöner sein. Ein makelloser blauer Himmel, eine leichte Brise über dem Nil und unsagbar viel Ruhe. Alles hat eben zwei Seiten. Gutgelaunt machen die Jungs ein paar Erinnerungsfotos. Die Entspannung sollte nicht lange andauern.

Wir sind noch nicht weit gekommen, als der Motor bedenklich stottert. Kurz darauf verstummt sein beruhigendes Knattern. Nun, ich verstehe nicht viel von Motoren. Eigentlich nichts, um bei der Wahrheit zu bleiben. Bei meinen beiden Begleitern scheint es zu meiner leicht aufkeimenden Beunruhigung genau so zu sein. Ups. Plötzlich nehme ich die Strömung des Flusses deutlich stärker wahr, als zuvor. Es soll auch Krokodile im Nil geben. Und was, wenn nun doch ganz unerwartet ein Kreuzfahrtschiff auftaucht?

Wir treiben manövrierunfähig auf der Lebensader Ägyptens dahin. Nichts zu machen, der Motor versagt seine Kooperation. Vielleicht haben wir ja Glück und werden an Land getrieben. Die Jungs wissen sich zu helfen. Sie sind bestens vernetzt. Ein kurzer Anruf und ein weiteres Boot macht wenig später an unserem fest. Onkels, Brüder, Väter oder wer auch immer die Männer sind, kommen an Bord. Wenigstens hat es Rettungsringe. die kann ich einem Krokodil ja zwischen die Wangen klemmen.
Die Retter begrüßen mich kurz lächelnd, gehen zielstrebig zum Motor und sind kurz darauf sehr konzentriert in ihre Arbeit vertieft. Das macht mir Mut. Ich sag nix. Man soll den kreativen Reparaturprozess eines führerlosen Schiffs auf dem Nil nicht unnötig stören. Höchste Konzentration ist angesagt. Kurz darauf gibt der Motor kurze stotternde Geräusche von sich. Mein Urvertrauen kehrt in leichter Dosierung schrittweise zurück. Wie sich kurz darauf herausstellt, müssen die Krokodile weiter hungern.
Nachts über den Dächern Luxors
Es gab keine moralische Vorhaltungen seitens der Verwandten. Das kann doch mal passieren. Motorschaden auf dem Nil. Meine Schwester fällt mir ein, die mich - sie lebt in den USA - einmal fragte, ob ich denn keine Angst in all den arabischen Ländern habe. Wir waren zusammen mit Pearl im extrem herunter gekühlten Wagen unterwegs nach Florida. Plötzlich ein kurzes aber heftiges: "Oh my God!!!!" Ich starre sie an, frage, was los ist. Sie: "Ich habe meinen Revolver zu Hause vergessen!" Ich antworte ihr: "Ganz ehrlich? Ich habe in den USA bedeutend mehr Angst, als in den arabischen Ländern.

Mohamed, Mohamad und ich wollen den letzten Abend meiner Reise in einem ägyptischen Restaurant beschließen. Hierzu müssen wir aber wieder aufs Schiff. Jenes, das heute Nachmittag seinen Geist aufgab. Es liegt am äußeren Ende der Schiffe. Hierzu müssen wir über zwei oder drei andere Schiffsdächer von Dach zu Dach springen. Völlig selbstvergessen gehen die Jungs voraus, klettern auf das Dach des ersten Schiffes und springen wie Nilkängerus über die Dächer. Ich - was bleibt mir anderes übrig? - mache es ebenso. Kurz darauf fahren wir ohne Beleuchtung zur anderen Seite Luxors. Die Polizei soll uns nicht sehen, erklärt mir Mohamad breit grinsend in holprigem Englisch. Na dann. So sind wir halt, wir Touristen. Spring!

















Kommentare