Luxor - Begegnungen 2025
- Bernd
- 25. Jan.
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 27. Jan.

Wie an einer Kette sind die Nilkreuzfahrtschiffe aneinander gereiht. Manchmal in Zweierreihen. Das unermüdliche Brummen ihrer Dieselgeneratoren schwängert die Luft mit Abgasen, die bis in die Zimmer des nahegelegenen Winter Palace Hotels dringen. Alternative Antriebe dieser schwimmenden Hotels wären ein Segen für alle. Wie muss das erst den Passagieren an Bord ergehen, die Richtung Aswan und Kairo auf den Spuren der Pharaonen wandeln?

Die Luft dürfte damals wesentlich besser gewesen sein. Aber auch die Pharaonen kamen nicht umhin, blutige Kämpfe im Wüstenstaub zu führen, um a, das Reich zu vergrößern und b, sich gegen äußere Angriffe zur Wehr zu setzen.

Apropos Blut. Meine Anreise verläuft nicht unblutig. Der Hausmeister zeigt mir seinen Verschlag vor dem Tor des Hauses. Infolge der verspäteten Ankunft ist es bereits dunkel. Eine unbeleuchtete Stufe führt hinab zum Eingangstor. Er reißt das Tor schwungvoll auf. Zeitgleich stolperte ich die Stufe hinab, mit dem Kopf direkt an die mir entgegenkommende Eisentür. Aus der Platzwunde rinnt mir das Blut von der Stirn. Zu meinem Glück muss die Wunde nicht genäht werden. Na, das fängt schon mal gut an.

Alles im Fluss: Luxor - Begegnungen 2025
Die Flusspromenade an der Eastbank, wo Luxor- und Karnaktempel seit Jahrtausenden Zeugnis einer Hochkultur ablegen, wurde in den letzten 13 Jahren deutlich herausgeputzt. Jetzt locken uniformierte Restaurants, Cafés und Bars aus Beton und Glas zahlungswillige Kunden an, wie man sie überall auf der Welt findet.

Die zahllosen Taxifahrer und Droschkenfahrer lassen nichts unversucht, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Noch hartnäckiger sind aber die Bootseigner und ihre Touristenschlepper der Felucas und Motordschunken, die mich „Very cheap!” und mit dem „Best Price!“ nach „Banana Island!“ bringen wollen, für „Make you happy!“ Das geht an der Corniche, wie die Strandpromenade auch genannt wird, pausenlos so.

Ich buche eine Fahrt durch die Altstadt Luxors, hinein ins Gewühl der Menge. Das Bild der Stadt ändert sich schlagartig und offenbart den Alltag der Bewohner, einschließlich des Höllenlärms des Straßenverkehrs. Bei einem Händler, der frisches Futter für das Pferd verkauft, machen wir einen kleinen Stopp. Kurz darauf geht es weiter Richtung Bahnhof und in die Altstadt mit den zahllosen Shops.
Und natürlich kommt es immer so, wie es kommen muss. Ich lande rein zufällig in einem kleinen Gewürzshop und kaufe zwei Tees, die ich zu Hause nicht anrühren werde.
Von all dem bekommt die Touristengruppe nur wenig mit. Einer marschiert vorneweg und hält zur Orientierung der Herde ein Fähnchen in die Höhe. So wie im richtigen Leben. Wir laufen immer irgendetwas, irgendjemanden hinterher: einer Ideologie, einer Religion oder ganz profane Dinge wie z.B. Macht, Karriere und Geld, dem Chef, der großen Liebe... Immer marschiert jemand vor uns her.

Im Rudel ist man eben immer sicherer unterwegs. Außerdem sind sie weitestgehend durch ihre ägyptischen Reiseleiter abgeschirmt. Das ist dann die Sternstunde der Souvenirläden. Sie versprechen allerbeste Qualität in Handmade.
Aber wer näher hinschaut, kann in den überfrachteten Regalen nur Massenware entdecken, eine einäugige Nofretete neben der anderen, Papyrusbilder, die in Wirklichkeit aus den günstigeren Bananenblätter gefertigt wurden und glitzernde Pyramiden fürs Bücherregal.
Ursprünglich ist immer jetzt

So, wie es aussieht, floriert das Geschäft. Überall hämmert es, fahren mit Sand beladene schwere LKWs vorbei. Gerade hat man eine neue Straße zum Flughafen fertig gestellt. Da kommt der aufflammende Nahostkonflikt, wo diesmal Israel Gaza in Schutt und Asche bombt, ungelegen. Das Wirtschaftskonzept mit dem Tourismus ist fragil. Der kleinste Funke entfacht einen Flächenbrand und bringt den Aufschwung zum Erliegen. Touristen stornieren einfach.

Gärten und Grünflächen müssen zu Gunsten eines universellen Businessplans, der weltweit funktioniert, weichen. Wie am östlichen Ufer entsteht auch hier an der Westbank gerade eine Corniche, eine Strandpromenade. Man sagt die Chinesen investieren hier im großen Stil und finanzieren das Projekt. Das erklärt die inzwischen stark angestiegene Zahl chinesischer Touristen, die zur Freude der Restaurantbesitzer überwiegend in Gruppen auftreten.

Wo vor Jahren wahre Ruhezonen an der Westbank entdeckt werden wollten, die zum Nachdenken, zum Relaxen einluden, entsteht städtebaulicher Einheitsbrei. Zwischen beiden Bildern liegen gerade mal 13 Jahre. Aus meiner Sicht hat man an der Westbank eine Chance vertan, eine begrünte Zone mit Cafés und Restaurants zu schaffen, die sich deutlich von der sterilen Eastbank abhebt.

Für das Bauprojekt wurden Restaurants am Nil entfernt, alte Bäume gefällt und Grünflächen zubetoniert. Die Besucher sollen hier gemütlich schwadronieren können, wenn nötig auch mit dem Rollator. Denn auch die chinesische Gesellschaft wird zunehmend älter. Die älteren Ägypter bedauern das und beschwören frühere Zeiten, die jüngeren begrüßen es. Heiraten ist teuer. Die Ausbildung der eigenen Kinder erst recht. Insofern wollen sie an der Westbank genauso gute Geschäfte machen wie auf der anderen Nil Seite, drüben an der Eastbank.
Pathologisches Verständnis der Religionen
Ich komme mit einem Taxifahrer ins Gespräch, der die israelische Politik sehr scharf verurteilt. So wie er denken viele, auch jüngere, wie beispielsweise eine Gruppe Studentinnen aus Kairo. Die Bilder der zahllosen zivilen Opfer im Gaza Krieg brennen sich ins kollektive Gedächtnis der Menschen.

Der Westen misst aus ihrer Sicht mit zweierlei Maß, denn in Gaza findet unter Netanjahu ein Genozid statt. Und das nicht erst seit dem menschenverachteten Massaker in Re`im der Hamas, am 07. Oktober 2023. Ich stimme ihnen zu. Allerdings gehört zur Wahrheit auch, dass die Hamas und die Hisbollah wenig bis gar nichts zur Deeskalation beitragen und die eigene Bevölkerung als Schutzschilde benutzen.
3 Musketiere
Überhaupt kommt man als Alleinreisender sehr schnell mit der ägyptischen Bevölkerung ins Gespräch. Drei Jugendliche setzen sich an einen Nachbartisch und sehen mir interessiert beim Shisharauchen zu, schwatzen und amüsieren sich. Vermutlich über mich.

“Hey, Boss!”, ruft einer mir wohlwollend zu und deutet auf seine Packung Zigaretten. Ich lehne dankend ab und zeige auf meine Shisha. Er stellt sich mir als Achmed vor, ist 20 Jahre alt und arbeitet als Security in einem Hotel in Hurghada. Der andere ist Mohammed, 17 Jahre alt und möchte einmal Profifußballer oder zumindest ein berühmter Sänger werden. Und der dritte heißt Ahmed, 18 Jahre alt und will zu seinem Onkel nach Düsseldorf ziehen, um Medizin zu studieren. Die sprachlichen Hürden überwinden wir mit Hilfe des Google Translator.

Kurz darauf kommt noch der Kellner zu uns, den die drei als völlig durchgeknallt beschreiben und der total lustig sei. Außerdem sei er sexsüchtig. Er fragt mich mit Hilfe des Translators, ob ich nicht eine deutsche heiratswillige Frau kenne. Das Leben hier in Ägypten ist schwer. Man muss, um heiraten zu können, 3 Millionen ägyptische Pfund bezahlen. Ich sage ihm, die Frau muss er alleine finden. “No Woman, no cry!”. Die anderen drei lachen schallend.
Achmed präsentiert mir seine Fotos aus dem Fitnesscenter. Ein durchtrainierter Körper, nicht ein Gramm Fett. Mohammed kontert mit seinen Videos vom Fußball Training, ein Junge der akrobatisch mit dem Ball jongliert. Ein anderes Video zeigt ihn als Sänger bei einem Auftritt, hier, irgendwo in Luxor. Und Ahmed erzählt mir von seinen Träumen, als Arzt viel Geld zu verdienen. Dabei schwärmt er, einmal einen fetten BMW zu fahren.
Und wieder: Luxor - Begegnungen 2025. In diesem Alter ist das Leben noch unendlich und grenzenlos.
Kaffeefahrt auf Ägyptisch
Der Taxifahrer bringt mich zu dem Art Shop für ägyptische Kunst. Es ist nicht der Laden von letzter Woche. Ein Angestellter sagt mir, diese Filiale sei geschlossen, woraufhin ich erwidere, er soll mir keine Geschichten erzählen. Wir fahren mit ihm auf der Rückbank zu der Adresse, nur ein Steinwurf entfernt. Der Laden ist in der Tat geschlossen.
Also geht es wieder zurück zum ersten Geschäft, das sich als Stammsitz entpuppt. Ich erwerbe zwei Bilder mit einem großzügigen Rabatt. Der Angestellte ruft zur Sicherheit beim Eigentümer an, der mir noch ein kleineres drittes Bild gratis dazu schenkt, plus zwei mit in Hieroglyphen beschriftete Kartuschen meiner Wahl. Das erinnert mich ein wenig an die Kaffeefahrten der Rentner, die wir als Jugendliche früher so mitleidig belächelt haben. Egal.
Sofitel Winter Palace Hotel: Auf der Suche nach Agatha Christie

Das Sofitel Winter Palace Hotel lebt von seiner grandiosen Vergangenheit, als die Gesellschaft in statische Klassen aufgeteilt war. Der Adel, die Reichen und Schönen residierten hier oder zumindest wichtige Persönlichkeiten, wie z.B. die Schriftstellerin Agatha Christie. Man kann es sich bildhaft vorstellen, wenn die Gesellschaft den 4 Uhr Tee im großen Salon einnahm. Heute muss das Hotelmanagement die Pforten für weniger schrille Personen öffnen.

Das überwiegend alte Mobiliar verströmt im Speisesaal noch immer antiken Flair. Insofern passt das Bild der irgendwie zu Geld gekommenen Gäste, die fast genauso antiquiert an ihrem Frühstück knabbern. Am Nachbartisch Sitz eine ältere Dame mit langen blondierten Haaren, an der sich Generationen von Schönheitschirurgen abgearbeitet haben. Ihr gegenüber ruht mutmaßlich ihr etwas aus der Form geratener Mann, mit Händen wie Schaufelbagger. Und ich irgendwie dazwischen, nicht weniger angestaubt. Prost.

Die instrumentalen Klänge aus Funky sind hier deplatziert, passen weder zu den alten Möbeln, noch zu den reifen bis überreifen Gästen. Und auch die Kellner lassen bei diesem Frühstücksbuffet ihre dezente Zurückhaltung vermissen. Einer knallt mir gestresst den Cappuccino hin, Löffel und Henkel verkehrt herum und jagt zum nächsten Tisch, während sein Kollege am anderen Tisch scheppernd abräumt. Alles wirkt aufgesetzt nobel auf mich. Aber vielleicht leiden sie hier ja auch unter Fachkräftemangel.


The Next Generation
Der geschäftstüchtige Ahmed ringt am Ufer der Westbank zusammen mit Familienmitgliedern einem Gemüsegarten für sein Restaurant etwas Sitzfläche ab. Hierzu häuft er eine Schicht aus Sand auf den Boden, aus dem bereits die Elektrokabel für die Lampen ragen. Alles wird schön ordentlich umzäunt. Er winkt mir zu, ruft auf Deutsch: „Wie geht’s?“ und lädt mich zum Tee ein.

Ganz uneigennützig macht er das nicht, fragt, ob ich kurz über seine Speiskarte schauen kann und möchte wissen, welche Vorspeisen aus meiner Sicht sinnvoll sind. Ich rate ihm weniger anzubieten, dafür aber frisch zubereitete und authentische Speisen. Chicken Mc Nuggets braucht keine Sau. Aus meiner Sicht ist Authentizität das Gebot der Stunde. Sein Lokal besticht mit der Lage, hier am Nil, umgeben von Gärten und Bäumen.
Fordernde Hände

Zwischen Luxor West und Luxor Ost verkehrt die Public Ferry. Die Überfahrt kostet für Ägypter 5 EGP (ägyptische Pfund), vielleicht auch weniger. Touristen zahlen 10 bis 30 Pfund, je nachdem, wer dort sitzt. Am Zugang zur Fähre sitzen zwei Angestellte, denen man das Geld in die Hand drückt. Ein Ticket gibt es dafür nicht.

Ich gebe 15 EGP. Der Mann gibt mir mit gespielter Empörung zu verstehen, dass das zu wenig sei, zumal er mir zuvor ausdrücklich klar machte, dass die einfache Überfahrt 30 EGP kostet. Deshalb sollte man vorher erst gar nicht fragen, sondern sich besser bei den Angestellten der umliegenden Restaurants nach dem realistischen Touristenpreis erkundigen. Das habe ich gemacht und mich für 15 EGP, knapp 30 Cent, entschieden. Nachdem ich ihm das Geld in die Hand gedrückt habe, laufe ich stoisch und ungeachtet seiner lautstarken Proteste einfach weiter. Er lässt mich ziehen.
Die Säulen der Erde

Ich bin am Schluss meiner Reise in zweierlei Hinsicht verschnupft, physisch und psychisch. Die Nächte hier sind im Januar recht kühl. Am Ende hab ich genug von Luxor, genug vom Gestank der Schiffe, Autos und Motorräder, genug von den Ägyptern und ihren Märchen, mit denen sie den Touristen das Geld aus den Taschen ziehen, genug von uns Touristen, die mehr Schaden als nützen, genug von den Schleppern und ihren zweideutigen Angeboten, genug von der Religion, die ihre Botschaft den ganzen Tag hinausschreit.
Selbst die kunstvoll bearbeiteten Steine sind nur noch Steine, Überreste einer grandiosen Kultur, die das heutige Ägypten und seine Bewohner durch die Touristenströme noch immer ernährt. Ich werde nicht mehr zurückkehren und überlasse das Staunen nachfolgenden Generationen.

Das Leben ist
ein langer breiter Fluss.
Nur wenige
Privilegierte sitzen an den Quellen
und blicken voller Zuversicht
auf das, was kommt,
auf das, was war.
So viele waren vor uns.
Die Masse treibt dahin,
Im großen Strom der Ahnungslosigkeit.
Immer auf der Suche
nach dem Meer,
das alles und jeden aufnimmt.
Ins Vergessen.
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