Nordkorea lächelt nicht 3
- Bernd
- 12. März 2024
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. März

Die Rolltreppe führt uns bis über 100 Meter tief in den Schlund Pjöngjangs, direkt hinunter zur U-Bahn-Station Puhung, was so viel wie Wiederauferstehung bedeutet. Die U-Bahn-Stationen dienen gleichzeitig als Schutzbunker. Mir fällt auf wie gepflegt und sauber es hier ist. Das stünde uns zu Hause auch gut zu Gesicht. An den Wänden sind Malereien und kunstvolle Mosaikbilder mit der üblichen sozialistischen Propaganda. Motive, wie man das Land gerne sehen will: Der nette volksnahe Übervater schreitet lächelnd und gottgleich von den Klassenlosen bewundert, umhüllt von seinem goldenen Heiligenschein, voran. Die nordkoreanische Realität ist eine andere: Die Menschen leiden; wer dagegen aufbegehrt, wird in Arbeitslagern weggesperrt und vergessen. Die Angst ist allgegenwärtig, sichtbar, zum Greifen nah.

Hier unten in der U-Bahn-Station ist einer der wenigen Momente, nein, es ist der einzige Moment, mit direktem Kontakt zur nordkoreanischen Bevölkerung. Aber auch das ist reichlich übertrieben, weil alle Fahrgäste an unserer Station aussteigen müssen. Von hier aus dürfen wir ein paar Stationen im eigens für uns reservierten Wagon mitfahren.
Niemand grüßt uns, keiner spricht uns an, Blickkontakte kommen, wenn überhaupt, nur flüchtig zustande. Ein Kind springt mir vor die Linse und weicht fast panisch zurück, um ja keinen Fehler im Umgang mit den Fremden zu machen. Die Fahrt endet für uns ein paar Stationen weiter.
Apropos Fehler. Wir bekommen eine makellose Erziehung der Kinder präsentiert. Vor der Einschulung müssen alle Kinder ein Jahr in den Kindergarten. Bis zur zweiten Stufe ist der Schulbesuch kostenlos und verpflichtend. Die erste Schulstufe dauert vier, die zweite sechs Jahre Ausbildung. Nach offiziellen Angaben liegt die Alphabetisierungsrate bei 99 %.
Kang Chol-hwan ist ein Journalist, der von Nord- nach Südkorea floh und als ehemaliger Gefangener des Internierungslagers Yodok in seinem Buch Die Aquarien Pjöngjangs das Leben dort beschreibt.
Die Frau mit den Haaren auf den Zähnen spricht über das Bildungssystem in den schillerndsten Farben. Wir dürfen sogar eine Art Kinderhort besuchen. Dort erhalten die Jungen und Mädchen sehr disziplinierten Unterricht in Sport, Musik, Bildende Kunst und was weiß ich nicht alles. Ganz ehrlich, das würde ich mir an vielen deutschen Schulen auch wünschen. Dort lähmt man die Lehrer mit Inklusion und Schüler und Schülerinnen, die kaum Deutsch können. Ich glaube, unsere Politiker schicken ihre Kinder auf Privatschulen. Das irritiert.
Während unserer Busfahrt erhalten wir weitere Informationen. Die Kriminalitätsrate liege, so unsere Führerin, bei Null Prozent. Mir brennen zwei Fragen auf den Lippen: Wie kann es sein, dass die Kriminalitätsrate bei Null Prozent liegt, aber so viele Menschen in den Umerziehungslagern interniert sind? Und wenn doch die Kriminalitätsrate bei Null Prozent ist: Warum sind unsere Hotels nachts „zu unserem Schutz“ abgeschlossen? Schon hole ich Luft. Aber unsere Reiseleiterin Ramona schaut mich mit weit geöffneten Augen an. Die Frau mit den Haaren auf den Zähnen sieht zu mir. Ich atme nur tief aus und nicke ihr freundlich lächelnd zu.

Ich stehe an einer Vitrine, als mich jemand unerwartet anspricht und fragt, ob ich Südkorea gesehen habe. Überrascht bejahe ich die Frage. Damit habe ich nicht gerechnet. Wie es dort sei, will die Person wissen. „Südkorea ist bunt, voller Musik und Leben.“ antworte ich knapp. Ich berichte kurz von belebten (Lebensmittel)Märkten, auf denen die Menschen alles kaufen können. Überall duftet es nach frisch zubereitetem Essen. Erst jetzt sehe ich Tränen in den Augen der Person. Noch bevor sie mir eine weitere Frage stellen kann, stürmt Die Frau mit den Haaren auf den Zähnen auf mich zu und fragt mit einem verschlagen Grinsen, ob es mir hier gefalle. Ich lächle sie an, verneige mich ansatzweise und antworte: „Nordkorea lächelt nicht.“, und lass sie mit ihrem maskenhaften Gesicht stehen.
Leere, von Leben entsorgte Straßen, in allen Städten; allgegenwärtige über Lautsprecher dröhnende sinnentleerte Propaganda, Marschmusik zwei, drei, vier, bum, bum, bum; ein Triumphbogen gegen die Menschlichkeit und gegen das Volk. Was macht das mit den Menschen? Es gibt keinen Ort der medialen Befreiung. Im Fernsehen: Propaganda. Im Radio: Propaganda. In den Parks, am Arbeitsplatz, in den Büchern und Zeitungen: Propaganda. Alltagsfolter für die klassenlose Gesellschaft, sie dröhnt allgegenwärtig. Immerzu. Sozialisten der Welt, schaut auf dieses Land!
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