Im Zeichen der Schlange
- Bernd
- 2. Juli 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Aug. 2024

Ende Februar 2023 fliege ich für eine Woche von Bangkok nach Taipei. Bei einem Aufenthalt bis zu drei Monaten brauchen Deutsche für Taiwan kein Visum. Der deutsche Reisepass und ein Rück- bzw. Weiterflugticket reichen aus.
Nur etwa 180 km sind es von Taiwan bis zum chinesischen Festland. Der 509 m hohe Turm Taipei 101 in der Hauptstadt Taipei hat die Form eines Bambusrohrs und ist weit über die Landesgrenze hinaus als Wahrzeichen bekannt. In ganz Taiwan leben knapp 24 Millionen Einwohner.
Alles ist auffallend gut organisiert. Die Einreise verläuft reibungslos und doch ist die es kein Land wie jedes andere. Die Menschen hier müssen hier mit der allgegenwärtigen Gefahr durch China leben, die immer und überall irgendwie mitschwingt. Eine militärische Konfrontation mit dem übermächtigen Nachbarn wäre für die Menschen hier, das Land, die Region und für den Rest der Welt eine Katastrophe. Auch die Chinesen nicht. Immer wieder schickt China Kampfjets zur Einschüchterung in Richtung Taiwan. Auf Druck Chinas unterhalten nur 11 Staaten diplomatische Beziehungen zu Taiwan.

Der Internationale Flughafen Taiwan Taoyuan liegt 30 km westlich von Taipei. "Willkommen in Taiwan!" überrascht mich die Taxifahrerin in gutem Englisch. Das war´s dann auch schon. Ich habe gehört, dass nur wenige Menschen in Taiwan Englisch sprechen.

Die Amtssprache hier ist (Mandarin) Chinesisch. Die Fahrt in die Stadt geht über die Autobahn, Hochstraßen, an bewaldeten Hügeln vorbei, die wohl einige Geheimnisse verbergen. Auf direktem Weg bringt sie mich zum Hotel Caesar Metro Taipei, im Wanhua District. In Fußnähe ist der Longshan-Tempel und der Nachtmarkt Huashi. Die chinesischen Schriftzeichen in der Stadt verstärken mein Gefühl inmitten eines fremdartigen Großstadtdschungel zu sein. Die Stadt quillt über, wie in einem großen Wimmelbild, in dem Kleinkinder Gebäude, Gegenstände und Menschen entdecken und benennen sollen. Es sind knapp angenehme 20 Grad, nachts jedoch deutlich kühler.
Entgegen meinen sonstigen Gepflogenheiten lasse ich das Streetfood links liegen. Mein Magen macht Probleme. Auf kulinarische Experimente verzichte ich daher.
Im Zeichen der Schlange
Ich schlendre zum nahegelegenen Nachtmarkt in der Huaxi Street, auch unter dem Begriff Schlangengasse bekannt - im Bezirk Wanhua, ganz in der Nähe des Bangka Lungshan Temple. Dieser Markt öffnet um 16 Uhr und schließt um Mitternacht. Die Gegend war bekannt für ihre Pornoläden und dem ältesten Gewerbe der Welt, mit der damit einhergehenden Kriminalität. Die Stadtverwaltung hat die Prostitution verboten, seitdem ist die Gegend hier sicherer. Heute finden Sie hier überwiegend Restaurants, Läden für chinesische Medizin, Wellnessläden, Andenkenläden, Saft Bars und Eisdielen.

Der Markt ist komplett überdacht. Damit ist er auch bei schlechtem Wetter eine Option.
Es gibt hier noch immer ein paar Händler, die Schlangenschnaps und andere Reptiliengetränke anbieten, vorzugsweise von Giftschlangen, die in den Flaschen eingelegt sind.
Das Gift wird, laut Versprechen des Händlers, durch den Alkohol neutralisiert. Zumindest so übersetze ich für mich sein rudimentäres Englisch ins Deutsche. Das erinnert an das Kinderspiel Stille Post, bei dem der geflüsterte Originaltext ins Ohr des Nachbarn am Ende der Runde einen vollkommen anderen Text ergibt. Ich verzichte zur Sicherheit auf eine Kostprobe.
Es gibt auch eine weitere Variante: Reiswein wird das Sekret der Schlange - Schlangenblut, Gallenflüssigkeit - beigemischt. Die Gerüche setzen mir zu.
In China steht die Schlange für Intelligenz und Weisheit. Der Schlange werden positive Eigenschaften zugeschrieben. Das bewahrt sie allerdings nicht davor, ihr Leben eingepfercht in einer Flasche zu beenden.

Natürlich schreibt man dem Schnaps weitreichende Heilwirkung zu, u.a. gegen Potenzstörungen. Der Glaube versetzt auch hier Berge. Der Import dieser Spezialität ist in Deutschland verboten, weil die verwendeten Kobras und gelbschwarzen Kraits unter das Artenschutzgesetz fallen.
Ich gehe weiter und entdecke eine Schlange im Schaufenster eines chinesischen Restaurants. Nun weiß ich nicht, ob es sich um einen Werbegag handelt, eine lustvolle Verheißung auf die Speisekarte oder vielleicht beides: Die Schlange wartet, bis sie an der Reihe ist.
228 Peace Memorial Park
Ich laufe von meinem Hotel zu dem 2,6 km entfernten 228 Peace Memorial Park. Das Wetter ist einigermaßen stabil, kein Regen in Sicht. Innerhalb des Parks sind unterschiedliche Gedenkstätten untergebracht.

Das 228 Memorial Monument erinnert an das Massaker vom 28.02.1947. Nachdem Japan die Insel Taiwan 1945 an China übergeben hatte, kam es 1947 zu einem Aufstand gegen den chinesischen General Chiang Kai-shek der Kuomintang Regierung (KMT), bei dem es - die Zahlen schwanken - zwischen 10 und 30 tausend Opfer gab. Wenn ich 228 richtig interpretiere bezieht sich die Zahl auf Februar, den 28. Tag: 228. Die taiwanesische Bevölkerung rebellierte gegen Korruption und Willkür.

Die Taiwanesen/Taiwanesinnen ringen tagtäglich um ihre Unabhängigkeit von den Chinesen, die ihrerseits Taiwan ins Reich heimholen wollen. Erinnerungen an Hitlerdeutschland keimen bei dieser Vorstellung auf; Hitler machte das gleiche mit Österreich. Den Ausgang kennen wir.
Ein Krieg um Taiwan würde auf beiden Seiten einen hohen Blutzoll abverlangen. Und die Menschen in Taiwan blicken sehr aufmerksam nach Hongkong. Was dort geschieht, wie Festlandchina mit der Bevölkerung umgeht, all das macht die chinesische Politik in ihren Augen nicht gerade glaubwürdiger. China hat mit seiner Politik der eisernen Hand eine historische Chance verpasst.
Auf der anderen Seite muss man sich die Frage stellen, wie andere Großmächte auf eine Abspaltung einer bestimmten Region reagieren würden.
Schwer vorstellbar, dass z.B. die USA Texas oder Hawaii so einfach in die Unabhängigkeit entlassen würde.
So gesehen ist die Freiheit der taiwanesischen Bevölkerung brüchig. Bleibt zu hoffen, dass China und Taiwan mit Hilfe der Schlange, die ja für Weisheit steht, eine friedliche Lösung finden. Alles andere wäre globaler Selbstmord. Nach dem chinesischen Tierkreiszeichen ist das Jahr der Schlange wieder in 2025. Möge sie den (alten) Männern Hirn und Weisheit geben.

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