Dracula lebt 8: Gespräch mit der Unsterblichkeit
- Bernd
- 29. Feb. 2024
- 8 Min. Lesezeit

War es gerade eben noch extrem kalt, kam mir der Raum, den ich jetzt betrete, viel zu warm vor. Vielleicht hätte man einfach mal ordentlich durchlüften sollen. Der Gestank war fürchterlich und erinnert mich an den Fischmarkt in Tripolis. Hier also lebt Dracula, in seinem Geburtsort Sighisoara. Wie jung, wie verletzlich er mit seinen über 500 Jahren aussieht. Lächelt oder fixiert er die beste Stelle zum Assimilationsbiss an meiner Kehle? Der Blecheimer meldet sich zu Wort:
"Euer Durchbleicht, das Abendessen ist hier." Mit Abendessen scheint er mich zu meinen. Wie w i t z i g ! "Lasst uns in den Speisesaal gehen, Teflon!" Der Blecheimer heißt also Teflon. In Draculas Augen blitzen Funken boshafter Entschlossenheit. So konträr zu seiner Stimme, die an Paul Panzer erinnert. Das macht es mir unmöglich, ihn einzuschätzen. Ist er nun Comedian oder Sadist? Immerhin, mein Sprachzentrum funktioniert wieder.
Mit einem Schwung, den ich dem Grafen gar nicht zugetraut hätte, huschen wir durch eine Art Musikzimmer, in dem ich ein Klavier zu erkennen glaube. Immerhin hat er Kultur. Im gleichen Moment erscheint eine leicht bekleidete Vampirin, vielleicht ein vorheriges Opfer oder seine Zofe. Sie führt uns in einen eingedeckten Speiseraum. Dracula nimmt theatralisch seinen Platz ein, flankiert von Teflon und der namenlose Dame. Ich nehme gegenüber Platz. Ohne Umschweife eröffnet der Graf das Gespräch.
"Hier wären wir! Eine pikante Situation und ein Appell an ihre Intelligenz, sie zu meistern!“
Intelligenz, denke ich für mich, bedeutet falsche Entscheidungen im Leben treffen, aber danach das Richtige zu tun. Das hier ist nicht gut.
"Kommen Sie mir nicht mit diesen dämlichen Kalendersprüchen! - Bringt mir Blutwein!" Ganz ohne Zweifel, er kann Gedanken lesen. Seine Stimme klingt wahrhaftig wie die von Paul Panzer und entlockt mir ein Lächeln. Die Namenlose schenkt sogleich Blutwein in sein Glas. Er prostet mir zu und meint: "Ich nehme an, Sie wollen kein Glas probieren. Die Fässer unseres Weinkellers sind voller ganz ausgezeichneter Blutkonserven."
"Das ist widerlich, Euer Durchbleicht! Ganz und gar widerlich!" Ich wühle in meiner rechten Hosentasche eine Knolle Knoblauch hervor. Er winkt ab, lacht mit gespielter Heiterkeit.
"Lass es! Auch wir haben uns in den 500 Jahren weiterentwickelt."
Ich glotze ihn fragend an, was seine überhebliche Überlegenheit noch beflügelt.
"Wir sind resistent."
"Resistent."
"Genau, resistent." Er nippt erneut an seinem Glas, starrt mich unablässig an.
"Wie darf ich das verstehen?"
"Hohlkopf! Resistent eben! Wir vertragen Knoblauch, manche von uns sind Vegetarier, sogar ein paar Veganer leben unter uns. Und Tageslicht hat seine todbringende Wirkung für Vampire verloren, sofern es keine direkten Sonnenstrahlen sind." Er steht auf und geht langsam um den Tisch herum, direkt auf mich zu.
"Aber warum bleit Eure Durchbleicht nicht einfach sitzen?"
"Angst?"
"Nur rudimentär."
"Aber ich rieche sie - deine Angst."
"In homöopathischer Dosis."
Er grinst verwegen. Seine Reißzähne fahren automatisch heraus und wieder hinein. Zweifelsfrei eine weitere Machtdemonstration. Sie blitzen weiß wie aus der Zahnpasta Werbung.
"Ihr Menschen seid so erbärmlich! Weißt du das?" Wie ein Hund riecht er an meinem Gesicht.
"Wenn ich dich nicht beiße, dann nur wegen diesem grässlichen Rasierwasser."
"Das hat mir beim Frühstück schon einmal jemand gesagt. Ich benutze das von Weleda!"
"Grässlich, es überdeckt alles Menschliche an dir!"
Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen, muss den Spieß unbedingt umdrehen, will Informationen, wechsle das Thema.
"Wen haben Sie..."
...infiltriert?" Dracula ist gerissen. Er liest wirklich meine Gedanken?
"So in etwa, ja."
"Viele!" Wie durch ein Magnet rutscht sein Glas Blutwein von der gegenüberliegenden Tischseite direkt in seine dürre Hand. Wir pokern um Informationen wie es scheint.
Ich krame umständlich meine Auftrag vom UfO hervor.
"Also Punkt 1, Steuerwohnsitz können wir vergessen, Punkt 2, 3 ebenso. Die anderen sind bis auf einen irrelevant."
"Das alles," er zeigt auf mein Dokument, "ist irrelevant. Wir haben diesen Schwachsinn verfasst. Diktiert von uns persönlich, den V V*!"
"Daraus schließe ich, dass die V V auch die deutsche Bundesregierung infiltriert hat."
"So ist es. Wir unterhalten Außenstellen in Washington, Moskau, Peking, Manila, Warschau, Budapest, Brüssel und so weiter und so weiter!"
"Das kann ich mir bildhaft vorstellen. Bei Victor Orban hatte ich noch nie Zweifel. Aber bei uns?! In Berlin!"
"Wir Vampire waren eine aussterbende Spezies. Man hätte uns unter Artenschutz stellen müssen!", Dracula riss die Augen ganz weit auf. Die Fratze eines Wahnsinnigen.
"Wir Vampire schlagen keinen Babys aus religiöser Verblendung die Köpfe ab!" sprach er nun ganz leise, ganz dicht vor meinem Gesicht. Ich kann seinen Blutwein riechen. "Also erspar uns deine perfide menschliche Moral!"
"Aber..."
"Nein! Bitte kein ABER!" zischte er. Seine Aussprache wurde nass.
"Euer Speichel ist wie Balsam auf meiner Haut, Durchbleicht!"
"Die V V sichert den Fortbestand unserer Rasse! Verstehst du? Wir waren es nicht, die Leichen aus den Konzentrationslagern der Nazis und der Kommunisten zu Seife** und Zement*** verarbeitet haben! Diese Perversion, dazu sind allein die Menschen fähig!"
"Ihr wollt mir aber nicht sagen, die bessere Spezies zu sein, oder?
"Unsere Natur ist nicht von pervertierter religiöser oder politischer Ideologie durchseucht!"
Ich ringe nach Luft. Blutwein stinkt.
"Nannte man sie nicht den Pfähler? Wie viele haben Euer Durchbleicht gefoltert?"
"Das war vor meiner Assimilation, Hohlkopf! Wir Vampire beißen, saugen euch aus und Ihr erhaltet dafür Unsterblichkeit!"
"Ich will aber kein U n s t e r b l i c h l i c h e r sein!"
"Du dummer, einfältiger Mensch. Was weißt du schon von Unsterblichkeit? Du wirst nie vom köstlichen frischen Blut junger panischer Männer und Frauen trinken. Blut", er atmet tief durch, "so dickflüssig, so rein. Es schmeckt nach frischer transsilvanischer Walderde, mit einem Hauch von Angstschweiß im Abgang, süß, wie die Ausdünstungen junger menstruierender Frauen."
"Durchbleicht, bei allem Respekt, ich fürchte sie sind pervers!"
Er winkt verächtlich ab. "Wir haben innerhalb der Bundesregierung ein Heilloses Durcheinander fabriziert." jetzt lacht er schallend laut, lacht bis rosé-rote Tränen kullern. "Er postet außerordentlich fleißig auf Finstergram und Zwitter, das jetzt Iks heißt!"
"Ich fürchte, ich verstehe nicht, Herr Graf."
"Scheinbar hat er kein Finstergram! Dracula blickt fassungslos die beiden anderen seelenlosen Wesen an.
"Echt jetzt?"
"Ich erklärs dir, dass auch du das verstehst: Deutschland steht kurz vor unserer Übernahme."
"?"
"Alle Leistungsträger in deinem Land werden systematisch ausgesaugt..."
"...sind Sie von der FDP?" Das muss Paul Panzer oder Torsten Sträter sein.
"Mit dem Bürgergeld machen wir die Leute zuerst träge. Mit dem Plus an Freizeit verblöden sie mehr und mehr durch eure allgegenwärtigen Medien. Sie liegen erschöpft auf versiffte Sofas, verfetten allmählich vom Fast Food und lassen sich widerstandslos aussaugen." Dracula lächelt mir zu.
"Massenmenschenhaltung kann nicht gesund sein. Das meint ihr also mit Heillosem Durcheinander!" Wie perfide! Heist unser Arbeitslosenminister nich Heil? Ich frage weiter:
“Fast zu schön für Euch, um es zu glauben. Ist in Eurem System der kontrollierten Infiltration der Regierungen nie ein Systemfehler passiert?"
"Nur wenige." antwortet er nun kleinlaut.
Jetzt hab´ ich ihn! Seine Arroganz bröckelt.
"Bitte? Kann das Eure Durchbleicht auch erklären?"
"Zugegebenermaßen. Es gibt ein paar wenige Vampire, die aus dem Ruder laufen, sich jeglicher Kontrolle durch die V V entziehen. Sagen wir einmal so: Ein paar alte Männer laufen im Moment in Europa, Nahost, Asien und Amerika aus dem Ruder! Temokraten und Tiktatoren gleichermaßen!"
"Ich nehme mal an, der in Amerika fängt mit T an und hört mit p auf. In Russland..."
"...sei einfach still!", unterbricht er dünnhäutig. "Jedes überlegene Existenzmodell hat auch ein paar kleine Schwächen."
"IST das so? Dann ist die Bilanz der Perversion zwischen Mensch und Vampir ja ausgeglichen. Heißt das im Umkehrschluss, dass diese Manipulierten, diese außer Kontrolle geratener Dispoten unsterblich sind?"
"Du unterschätzt unsere Möglichkeiten, Mensch. Sie wurden neutralisiert, sind fortan keine Vampire mehr. Sie entsprechen eben n i c h t unseren Statuten!"
"Neutralisieren ist in der menschlichen Denkstruktur, zumal in der Politik, doppeldeutig. Mit anderen Worten, die Tyrannen leben! Was versteht ihr unter neutralisieren?"
Dracula legt mir ein Foto vor:

"Das ist eine Waschanlage. Und weiter?"
"Das ist nicht nur eine schnöde Waschanlage, Hohlkopf!!! Wir haben eure Technologie modifiziert und können darauf bei Bedarf zurückgreifen."
"Soll heißen?"
"Vampire die gegen die V V-Statuten verstoßen werden hier neutralisiert. Das ist eine Neutralisationsstation für Vampire, auch NSV genannt. Sie verlieren ihre Unsterblichkeit."
Du meine Güte, denke ich kurz vor einem Ohnmachtsanfall, ich bin hier in einen Politikthriller geraten!!! Das ist nicht wahr, sagt mir, dass das nicht wahr ist.
"Nur aus diesem Grund bist du hier, Mensch! Es war der Wunsch unseres Heillosen Kollegen. Deutschland spielt bei der Korrektur unserer Missgeschicke eine Schlüsselrolle!"
Ich kollabiere nicht, lache dafür ausdauernd bekloppt, kurz davor, meinen überschaubaren Verstand zu verlieren.
"Ihr kennt schon die Ergebnisse der aktuellen PISA-Studie, ja? Der Zustand der Bundeswehr, den Bürokratisierungswahn, die linksradikalen Enteignungsfantasien, die rechtsradikalen Rattenfänger, die Worthülsenproduzenten der Politiker! Ja? Ihr kennt das? Sagt mir, dass Ihr davon wisst! Was könnte ich, ein Reisender, dagegen tun? WAS?
Ich verliere meine Contenance, fasse Dracula beim Kragen, schüttle seinen durchbleichten, übelriechenden Körper. Er hat Schuppen. Komme sogleich wieder zu mir, glätte sein in Unordnung geratenes Hemd. Lache manisch. Der Fürst dreht sich zu Teflon und der Namenlosen.
"Welchen Idioten hat uns dieser Heil-lose Arbeitsminister geschickt. Wir sollten ihn entlassen und Bürgergeld beziehen lassen!" Jetzt ist es der Fürst, der fassungslos glotzt. Dann:
"Du bist hier, um darüber zu berichten!" zischt er mich an.
"Ihr wollt mich also nicht assimilieren?"
"Gott bewahre! Du riechst so schlecht mit deinem Öko-Würg-Weleda-Rasierwasser! Dich würde nicht einmal eine Kakerlake anknabbern!“
Welchen Gott er wohl meint?
"Du sollst darüber berichten! Schreibe alles in dein Reisetagebuch auf! Noch bevor du wieder in Deutschland bist! Hast du das v e r s t a n d e n?"
"Wieso vor meiner Rückreise?"
"Weil du neutralisiert bist, sobald du wieder landest!"
"Ha! Ich will noch nicht sterben!"
"Da kann ich dich beruhigen! Deine Erinnerungen an das, was hier in Rumänien mit dir geschah wird neutralisiert. Wie bei MIB."
Er meint wohl den Film mit Will Smith. Die Namenlose unterbricht unseren Dialog, sagt:
"Liebster, wir können es ihm hier erklären. Er wird sowieso alles vergessen."
"Richtig!"
Er zeigt mir ein weiteres Foto.

"Wir verwenden Gedankenneutralisatoren in Hotels, Flughäfen, Bahnhöfen, Justiz, Behörden. Ihr erinnert euch nur an das, was wir auch zulassen.."
Bei Behörden habe ich das ja schon immer vermutet, das mit den Gedankenneutralisatoren. Ein raffiniertes System.
„Was glaubst du wohl warum der Bau des Berliner Flughafens so lange bis zu seiner Fertigstellung brauchte?”
Ich zucke nur mit meinen Schultern. Glotze in die Runde.
„Die Neutralisatoren. Die Inbetriebname war zu früh, verwirrten die Ingenieure und Techniker.“
Ich verstand auf einmal: „Wie bei Stuttgart 21.“
„So ist es, Junge.“ Dracula dreht sich zu Teflon, wedelt mit seiner rechten Hand. „Bring diesen übelriechenden Burschen zurück.“
"Ihr lasst mich gehen?! Bei allem was ich jetzt in Erfahrung gebracht habe?"
"Nur zu! Veröffentliche dein Wissen. Es läuft alles nach Plan. Du hast deine Chance auf Unsterblichkeit verwirkt. Aber hier ist noch ein Andenken für dich!" Dracula übergibt mir ein Kuvert mit den beiden Fotos, die er mir kurz zuvor zeigte.
"Lass uns gehen, Hilde!"
Dracula nannte die Namenlose Hilde. Wie bei Paul Panzer!
Aus unerfindlichen Gründen kann ich den Umschlag nicht öffnen.
"Das ist erst möglich", ruft er mir beim Gehen über die Schulter zu, "nach deiner Rückkehr in Old Germany!"
Ich bin erleichtert, dass er geht, schwöre dem Rasierwasser Weledas ewige Treue. Aber seine Stimme ist wirklich niedlich.
Teflon bringt mich in rasender Geschwindigkeit zurück nach Bukarest, vorbei an der Catedrala Patriarhala, zur ehemaligen Karawanserei, mit dem riesigen Restaurant Hanu Lui Manug, wo unsere Gruppe heute Abend ihr Abschiedsessen genießen kann.
*VV ist das politische Organ der United Vampires mit Sitz in Bukarest.
** Nazi-Deutschland verarbeitete in Rumänien ermordete Menschen in Konzentrationslagern zu Seife.
*** Unter dem kommunistischen Führer Nicolae Ceausescu wurden ermordete politische Gefangene zu Zement verarbeitet.
**** Foto: Tobias Rehbein, Pixabay
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