Dracula lebt 6: Boian, Rendevouz mit dem Tod
- Bernd
- 1. Feb. 2024
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Feb. 2024

Die Menschen leben inmitten dieser malerischen Landschaft in armen Verhältnissen. Hier gibt es keine Industrie, keinen Tourismus, nichts, das Geld bringt. Auf den Straßen spielen Kinder in abgetragener Kleidung. Sie winken uns freundlich zu, wir winken aus unserer 2-PS-Kutsche zurück. Welten liegen zwischen uns. Ab und zu überholt uns ein Auto. Zwei halbstarke Jugendliche nehmen mit einem Einspänner die Verfolgung auf, treiben ihr Pferd an. Sichtlich stolz überholen sie uns. Unser Ziel ist das Dorf Boian. Früher hieß der Ort Bonnesdorf, erstmals 1309 urkundlich erwähnt. Der Ort ist am Aussterben. 1910 hatte er noch 2028 Einwohner, davon 317 Deutsche. 2021 sind es nur noch 1360 und vielleicht noch 6 Deutsche. Mir fällt auf wie schlicht diese Häuser sind. Hier würde ich es ein paar Tage aushalten. Eine unmögliche Vorstellung, die an den nicht vorhandenen Sprachkenntnissen scheitert.
Kirchenburg Bonnesdorf

Vermutlich sind wir hier das Highlight des Tages. Immer wieder winken Kinder und Erwachsene uns zu. Lucia erklärt uns den Mangel und die Armut: "Die jungen Leute ziehen fort von hier. Es gibt keine Perspektive, keine Arbeit, keine Infrastruktur. Hier kann man keine Familie ernähren. Ich werde Ihnen das an einer Kirche verdeutlichen! Die letzte Renovierung war 1976, seitdem verfällt alles!"
Dieses im Verfall befindliche Gotteshaus berührt mich auf unerklärliche Weise. Gottesdienste finden hier lange schon nicht mehr statt. Die Fassade bröckelt. Feuchtigkeit dringt in das Mauerwerk ein. Modergeruch. Fenster verfallen, Steintreppen zur Empore, wie ein unregelmäßiges Gebiss, sind unpassierbar. Die massiven Holzbänke rotten vor sich hin. Ein altes Plakat huldigt jenen, der verlassen am Kreuz hängt: "Er ist wahrhaftig....und hat sich selbst für sie gegeben." steht auf Deutsch darauf zu lesen.
Lucia sagt einen Satz, der nicht treffender für diese Gegend sein kann: "Touristen sind wie Arterien. Wo sie sind, fliest das Geld, werden historische Gebäude unterhalten, fortlaufend renoviert und gepflegt. Ohne Touristen sterben Ortschaften, verkümmern Gebäude, wird die Geschichte vergessen."

Der Altar verkümmert. Wie viele Brautpaare haben sich hier im Laufe der Jahrhunderte ihr Eheversprechen gegeben? Wie viele Taufen und Totenmessen erzählen hier vom Anfang und vom Ende? Und wie viele Weihnachtsgottesdienste haben hier wohl die Herzen der Menschen mit Licht erfüllt? Ein rührendes Bekenntnis einer Ehefrau zur Liebe an ihren verstorbenen Mann erzählt ein Teppich von 1883: "...zum Andenken an ihren Gatten Andreas Weber. 1883."
Wäre ich ein Filmemacher, hier stünde der Anfang meines Drehbuchs, zurück zu den Menschen, zurück zu Frau Weber und ihrem Leben. An diesem Ort sind zahllose unerzählte Geschichten. Ich verlasse - zugegeben, etwas melancholisch - das Gotteshaus, gehe durch die schwere Eichentür, hinaus in das trübe Herbstlicht, vorbei an den deplatzierten gelben Bänken. Und als ich das Gelände verlasse, höre ich den zurückgelassenen Christus, noch immer angenagelt, verzweifelt am Kreuz rufen: "Warum habt ihr mich verlassen?"
Vielleicht sollten wir Jesus Christus endlich, nach über 2000 Jahren vom Kreuz nehmen, die traurigen Requisiten aus den Kirchen entfernen, kirchliche Altlasten aufarbeiten, entsorgen. Ersatzweise könnten seine vielen genialen Gleichnisse und Botschaften unsere Herzen erhellen. Das wäre ein guter Neuanfang, fast möchte ich sagen, eine Wiedergeburt im Heute und im Jetzt.

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