Dracula lebt 2: Code RG 1
- Bernd
- 14. Dez. 2023
- 3 Min. Lesezeit

Um mir einen ersten Eindruck zu verschaffen, reise ich zum Zielort der Mission Rote Grütze einen Tag früher an (Das ist nicht gruselig! Wie soll ich das ins Englische übersetzen? Etwa Red fruit jelly?). Das Ramada by Wyndham Bucharest Parc Hotel ist das letzte Hotel der Mission. Das will ich mir genauer ansehen. Einen Tag früher eben. Der freundliche Herr an der Rezeption gibt mir die Zimmernummer - das kann kein Zufall sein - 116. Na, klingelt´s? Die Quersumme (1 + 1 + 6) ergibt 8 und diese Zahl steht in der christlichen Zahlensymbolik für glücklichen Anfang, Neubeginn, geistige Wiedergeburt, Taufe und Auferstehung. Das hat eine Bedeutung! Für den nächsten Tag muss ich Vorbereitungen mit der Gruppe treffen. Wie mir erst jetzt schriftlich mitgeteilt wurde, ist der Reiseleiter eine -in, eine Reiseleiterin. Lucia, was so viel bedeutet wie die am Tag geborene. Soziologin und Ethnologin. Schon wieder ein gutes Omen. Nicht in der Nacht geboren, sondern am Tag. Vampire meiden den Tag wie der Tag die Nacht. Logisch, oder?
Bukarest liegt in der Walachei. Hier regierte Fürst Dracula, nicht in Transsilvanien, wie viele glauben. Dort hielt er sich nur wenige Male auf.
Vorkehrungen
Der Vollmond verschwendet in dieser Nacht sein Licht am wolkenverhangenen Himmel, macht ihn düster, unheimlich, bestenfalls melancholisch. Ein Vollmond am Nachthimmel, an dem Unheil geschieht, kreischende Fledermäuse um die Köpfe des Nerds flattern, wie ich einer bin, in Erwartung asthmatisch röchelnder Vampire, knurrender blutrünstiger Werwölfe oder unberechenbare, kreischende Psychopathen. Ein Mond zum Anheulen. Hier kann alles passieren. Ich bin ihm auf der Spur. Oder er mir.
Ich gehe meine Unterlagen durch: Dracula wurde 1431 in Sighisoara (Schäßburg) geboren. Demnach müsste er heute 592 Jahr alt sein. Sein Wohnsitz liegt mutmaßlich im Raum Bukarest. Wir werden also etliche Dörfer und Städte abklappern müssen. Zu meiner Vampirprophylaxe zählen jede Menge Knoblauch, etwas Weihwasser (getarnt in einer Flasche Obstler), diverse Eichenholzpfähle und ein Holzkruzifix mit einem silbernen Jesus daran.

Ein verwandtschaftliches Verhältnis zwischen Dracula und Bram Stoker, dem irischen Schriftsteller, kann ich mit Sicherheit ausschließen. Er schrieb lediglich eine Art Biografie über den Fürsten. Gut möglich, dass er dabei gebissen wurde. Wer kann´s schon sagen?
Mir fällt ein, dass Pearl in letzter Zeit sehr blass ist. Sie meidet zu Hause auch die Sonne auf unserer Terrasse, kommt erst zur Dämmerung heraus. Aber sie ist Vegetarierin mit deutlichen Sympathien für Veganer. Gibt es möglicherweise Mutationen bei den Vampiren? Ich verwerfe entschieden die Gedanken, konzentriere mich auf die bevorstehende Reise.
Bevor es düster wird: Rumänien ist schön

Der historische Dracula, der Pfähler, wie er auch genannt wird, ging mit unbarmherziger Grausamkeit gegen seine Feinde vor: Er ließ sie bei lebendigem Leib aufspießen, bis sie unter stundenlangen unerträglichen Qualen krepierten. Unsere Reiseleiterin ist angehalten, so unauffällig wie nur möglich vorzugehen. Das ist vergleichsweise einfach. Die Rumänen sprechen wir erst gar nicht auf den Fürsten an. Sie mögen es nicht, dass wir Touristen ihr Land, mit seiner reichen Kultur, den wunderschönen Landschaften, kulinarischen Genüssen und Kulturschätzen auf einen Tyrannen reduzieren.
Nach einer unruhigen Nacht, verlasse ich das Ramada Hotel, das den eisigen Atem einer postkommunistischen Architektur versprüht, in Richtung Flughafen. Die Sonne strahlt an diesem Tag, der Himmel ist fast wolkenlos blau, mit milden frühsommerlichen Temperaturen. Der Taxifahrer zeigt mir am Flughafen die Ziffern auf dem Taximeter: 38 LEI. Ich drücke ihm 50 LEI in die Hand, packe meinen Koffer und betrete die Ankunftshalle des Flughafens.
Predeal, Karpaten
Mit zwei Stunden Verspätung verlassen wir im Reisebus das Flughafengelände in das etwa 160 Kilometer entfernte Predeal, der höchstgelegenen Stadt Rumäniens. Aus strategischen Gründen sitze ich ganz hinten im Bus, komme damit einer verdächtig unnahbaren, ganz in Schwarz gekleideten dreiköpfigen Familie (Roger, Ludmilla und Tatjana) mit ihrer pubertierenden Tochter zuvor, die dafür demonstrativ direkt vor mir links und rechts des Gangs ihre Plätze einnehmen. Die drei sind extrem blass. Die sollte ich im Auge behalten. Mir ahnt schlimmes.
Noch etwas Ungewöhnliches bedarf hier der Klärung. Schon am Flughafen nahm Angelo Kontakt zu mir auf. Er reist alleine bei dieser Mission. Er sieht fast haargenau wie ein Kollege aus der Firma aus. Etwas älter gemacht, auf italienische Wurzeln getrimmt. Ob da Pearl ihre Hände im Spiel und mir einen Aufpasser an die Seite gestellt hat? So viele Zufälle?
Unsere Rudelführerin Lucia hat eine angenehm einschläfernde Stimme. Sie informiert uns über den ersten Zielort Predeal, der mit etwa 4000 Einwohnern auf 1093 m Höhe liegt. Fast flehend bittet sie uns, nachts nicht auf die Straßen zu gehen. Die Region Siebenbürgen ist bergig, stark bewaldet und reich an Bären, was ein Sicherheitsrisiko darstelle. Ja, ja. Schon klar. Bären. Sehr geschickt verpackt, uns vor Vampiren zu warnen. Oder Werwölfen. Vielleicht auch beides. In den kommenden Tagen sollte ich mir wie Tom Hanks in The Da Vinci Code - Sakrileg vorkommen: Hinweise entschlüsseln, Codes knacken, verfolgen und verfolgt werden (bei den Stunts lasse ich mich altersbedingt doubeln). Überleben ist das Gebot der Stunde.
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