Morelia/Mexiko
- Bernd
- 2. Apr. 2024
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Apr.
Wir hatten uns seit mindestens 15 Jahren nicht gesehen. Ich arbeitete damals als spätberufener Student etwa zehn Wochenstunden im Schulkindergarten der Lebenshilfe, Steffen war Zivildienstleistender und spielte nebenbei in einer Band. Im Gegensatz zu mir erlernte er einen richtigen Beruf, studierte Physik und machte seinen Doktor. Heute lebt und arbeitet er in Mexiko.
Ob ich denn wisse, wo Morelia liege, fragt mich Steffen in Whatsapp. Was für eine bescheuerte Frage!? Ich bin ein waschechter Traveller. Natürlich weiß ich das. Als wir auflegen, muss ich erst einmal auf Google Maps nachsehen, wo im Gottes Namen Morelia liegt.

Im Januar 2024 war es dann soweit. Steffen bringt mich mit dem Auto gut 300 km von Mexico Stadt in nordwestlicher Richtung nach Morelia. Vier Stunden brauche wir für die Strecke. Dabei fallen mir die vielen Markierungen auf der Fahrbahn auf. Insbesondere die roten Leuchtstreifen. Sie weisen den maroden Trucks den Weg, erklärt er mir, falls - das ist jetzt kein Witz - die Bremsen versagen: Der rote Leuchtstreifen führt auf eine Ausweichpiste, eine Sand- bzw.. Schotterstraße. Dort wird der Truck abgebremst. Gerne auch kleinere verkehrsuntüchtige Fahrzeuge. Nur blöd, wenn Sie dort glücklich mit Ihrem PKW zum Stehen kommen und plötzlich im Rückspiegel ein Truck angedonnert kommt, der das gleiche Problem hat.
Ursprünglich hieß die im 16. Jahrhundert erbaute Stadt Valladolid, wurde aber nach dem mexikanischen Unabhängigkeitskrieg zu Ehren des aus der Stadt geborenen Volkshelden Jose Maria Morelos in Morelia umbenannt. 2010 hatte die Stadt noch 597.000, 2020 sind es schon 849.000 Einwohner. Sie liegt in etwa 2000 m Höhe, im zentralen Hochland Mexikos und ist die Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaates Michoacán. Die Altstadt gehört seit 1991 zum UNESCO Weltkulturerbe. Von Morelia aus kann man das Schutzgebiet der Monarchfalter besuchen, jener Schmetterlinge, die nach 4500 km Flug aus Kanada und den USA in die Wälder der Sierra Nevada kommen.
El Acueducto, das Wahrzeichen von Morelia

Das Aquädukt besteht aus 253 Bögen. Es wurde im 18. Jhd. erbaut, um die Wasserversorgung der Stadt zu gewährleisten. Das rosafarbene Mauerwerk entspricht in seiner Farbe den lokal abgebauten Steinvorkommen. Besonders nachts sind die beleuchteten Bögen ein visuelles Highlight.

Hier ist auch eine kleine Parkanlage mit sehr schön dekorierten Bäumen und der Fuente las Tarascas, ein Brunnen in Form einer Obstschale, die von drei indigenen Frauen vom Volk der Tarasken gehalten wird. Womit ich bei einem zukunftsträchtigen Kernproblem der Region angekommen bin: die Wasserversorgung.
Ich beobachte das Wasserproblem, abseits der touristischen Pfade, auf einer Busfahrt unweit von Morelia. Der Lago de Cuitzeo ist am Austrocknen, seine gespenstigen Ufer sind weit zurück gedrängt, weil in den letzten Jahren der Regen ausblieb. Das wird zum Riesenproblem werden. Hier ist eines der fruchtbarsten Gebiete Mexikos. Entsprechend hoch ist der Anteil der Bevölkerung, die von der Landwirtschaft lebt.
Bleibt der Regen dauerhaft aus, vertrocknet die Region. Das verschärft die ohnehin angespannte Situation der Landwirte, die ihre Existenzgrundlage verlieren, was zu einer Verknappung der Lebensmittel führen wird. Die Preise steigen und gefährden die Existenzgrundlage der Menschen. Ein Schneeballsystem. Profitieren werden die rivalisierenden kriminellen Banden, weil sie mit ihren Machenschaften alternative Einnahmen versprechen, um es ganz behutsam und vorsichtig zu formulieren. Von irgendwas müssen die Leute ja leben oder sterben. So weit, so schlecht.

Da ist doch der Wurm drin!

Steffen und ich bekämpfen unsere Trockenheit mit Bier und Mezcal. Das Leid der Welt muss manchmal begossen werden. Mezcal ist eine mexikanische Spirituose mit 40 Vol.-%. Er wird aus Agaven hergestellt. Wie beim Wein glaubt so mancher Kenner alle möglichen Geschmacksrichtungen heraus zu schmecken: rauchig, süß bis hin zu Nuancen von Apfel und Zitrusfrüchten. Ich schmecke nur Schnaps, je nach Sorte härter oder weicher im Abgang. Wir versuchen nun, in generationsübergreifenden Gesprächen zu ergründen, wie viel Geld ein Mensch braucht, um glücklich zu sein. Zur Beantwortung dieser sozialpolitischen Frage hätte es vermutlich erheblich größerer Mengen Schnaps gebraucht. Daran haben sich schon ganz andere Philosophen vergeblich abgearbeitet. Wobei: Gene Roddenberry, der Erfinder von Star Trek, war der Lösung der Armutsfrage der Menschheit ganz dicht auf der Spur. Schnell noch einen Mezcal.
Während Mezcal aus dem Fruchtfleisch verschiedener Agavenarten hergestellt wird, besteht Tequila zu 100 % aus der Blue Weber Agave, ist also ein, wenn auch spezieller, Mezcal. Das man den Schnaps mit Wurm trinkt ist übrigens eine Legende aus der Partyszene und geht auf einen Marketing Gag in den 1940er Jahren zurück. In einem guten Mezcal hat ein Wurm nichts verloren, sagen Steffen und ich säuselig angeheitert.
Ding Dong
Der Vorteil, ein Land auf eigene Faust zu bereisen, liegt in der Unabhängigkeit. Ganz im Gegensatz zu organisierten Rundreisen und ihren oftmals starren Programmen. Wenn mir nicht nach einem touristischen Hotspot zumute ist, weil sich dort tausende Menschen die Füße platt drücken, dann lass ich es einfach gut sein. Zuckerhut hin, Aztekenstätte her. Dafür gewinne ich andere Eindrücke, komme mit Menschen ins Gespräch oder räume mein Inneres auf.
Ausgesprochene Glücksfälle sind jene Menschen, die man persönlich kennt, die im Land leben und arbeiten. So wie bei Steffen, der für das holländische Unternehmen ASML programmiert und seiner Freundin Dany, die als Journalistin arbeitet. Dany ist mir auf Anhieb sympathisch, was etwas heißen will. Sie erinnert mich an die mexikanische Schauspielerin Mariana Trevino aus dem Remake A man called Otto, mit Tom Hanks und Truman Hanks in den weiteren Hauptrollen. Dany sprüht vor Energie, und ihr mexikanisches Temperament, gepaart mit ihrem Humor, der mich eben genau an diesen Film erinnert, heitert meine ermattete Reiseseele auf.

Bei einem guten Essen sprechen wir mit Dany über Mexikos Stärken und Schwächen: die kulturelle Vielfalt des Landes, dass im Gegensatz zu den USA die indigene Bevölkerung nie in Reservate eingepfercht wurde, die zweifelhaften Privilegien der Weißen gegenüber der indigenen Menschen, die häufigen Streiks und Demonstrationen im Land oder aber die ungleichen Einkommensverhältnisse. Das Land macht Fortschritte im Kampf gegen Korruption und gegen das organisierte Verbrechen. Aber gewinnen lässt sich der Kampf nicht. Zu komplex und vielschichtig sei das, erklären mir die Beiden, wegen der sozialen und politischen Abhängigkeiten. Faktoren wie Hautfarbe, Wohnort, Stadt oder Land, wer deine Eltern sind, wie gut du vernetzt bist, entscheiden über Karrieren in Mexiko.
Gut bezahlte Posten werden qualifikationsunabhängig innerhalb der Netzwerke verteilt. Aber die Löhne der Masse halten mit der Inflation nicht mit. Geschlechterrollen sind - insbesondere in den ländlichen Regionen - sehr traditionell ausgerichtet und Gewalt gegen Frauen omnipräsent. Ja und dann gibt es noch starke politische linke Kräfte, die kaum zugänglich für Argumente sind. Sie agieren grundsätzlich gegen die staatliche Ordnung.

Immer wieder kommen wir zu dem Punkt, dass Deutschland keinen Grund habe, den moralischen Lehrmeister zu spielen. Korruption ist bei uns in Lobbyismus und durch eine überbordende Bürokratie organisiert. Unser aktueller Bundeskanzler Olaf Scholz hat bis heute, was korrupte Banken angeht, massive Gedächtnislücken, bis hin zum Totalverlust seines Erinnerungsvermögens. Die Steuern und Abgaben sind zu hoch, ein Grund dafür, warum Steffen nicht in Deutschland arbeitet. Wenige Berufsgruppen diktieren auch in Deutschland die Spielregeln. Und unser Staatsjournalismus der öffentlich rechtlichen Medien hat in den letzten Jahren deutlich an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Bestimmte Themen sind auch in Deutschland Tabu oder ideologisch stark eingefärbt.
Wir wechseln schnell das Thema, schenken Bier, Wein und Mezcal nach, was uns mehr und mehr entspannt. Nur schnell weg von den thematischen Abgründen der Menschheit und hin zu den lustigen wie sehr privaten Themen. Salut!
Der Markt der Zahnärzte: Mall der Süßigkeiten
Der Mercado de Dulces y Artesanias, wie er bei den Einheimischen genannt wird, verkauft seit 1968 ein umfangreiches Sortiment an lokalen handgefertigte Süßigkeiten und Kunsthandwerk. Er ist mit ca. 170 Geschäften bei Einheimischen und Touristen sehr beliebt.

Als typische Süßigkeit gilt Ates, auch Ate Moeliano genannt, eine aus Fruchtmark und Zucker hergestellte Spezialität. Sie hat die Konsistenz von Gelee, schmeckt sehr fruchtig.
Fruta Cristalizada sind Kunstwerke kristallisierter Früchte. Sie werden aus frischen Früchten und Zucker hergestellt. Durch den Kochprozess entsteht die kristalline Konsistenz.
Cocadas ist eine typische Süßigkeit aus Morelia und besteht aus Kokosraspeln und Zucker. Ein Muss für Freunde der Kokosnuss.
Gaznates, ursprünglich aus der Region Oaxaca, sehen aus wie Zylinder. Sie sind in Mexiko sehr belieb und werden aus einer Weizenpaste hergestellt, ähnlich wie bei uns die Krapfen. Die Füllung besteht aus Baiser.
La Catedral de Morelia

Die im Stil der Spätrenaissance begonnene Metropolitan Cathedral steht am Zocalo, so heißen die zentralen Plätze einer Stadt in Mexiko, im historischen Zentrum Morelias. Ihre Bauzeit betrug 84 Jahre, von 1660 bis 1744, in Stilformen des klassischen Barocks. Sie bildet mit dem belebten Platz das Zentrum der Stadt.

Mexiko dürfte die höchste Dichte an Kirchen haben. Sie übertreffen selbst noch die Rumänen. Ihre kunsthistorische Pracht ist grenzenlos. Während wir in Europa zur Versachlichung neigen, wird der Glaube in Mexiko bis ins Detail pompös ausgestaltet. Die Mexikaner scheinen einen Hang zum Dramatischen zu haben. Sie lieben es, wenn ihr Jesus, wenn ihre Heiligen, möglichst lebensgroß und authentisch dargestellt sind. Je realistischer desto besser. Ihr Glauben wird damit vorstellbar, stiftet Identifikation.
Bei einer der Figuren war ich mir nicht sicher, ob sie DJ Ötzi oder Thorsten Sträter darstellen soll. Ich tendiere zu Thorsten Sträter.
An der Kathedrale und dem Zocalo treffen alle aufeinander: Einheimische wie Touristen, Straßenkünstler und Straßenhändler, Verliebte und die trostlos Gescheiterten.
Da kann ein wenig Humor nicht schaden.
Um die Gegend des Zocalo sind Geschäfte, Hotels, Cafés, Restaurants und die für ihr gutes wie günstiges Essen bekannten Cantinas angesiedelt. Hier ist für jeden Geldbeutel etwas dabei.

Auch eine Form des Masochismus: In praller Sonne preist ein rot gekleideter Prinz, vielleicht auch einer der heiligen drei Könige, gegen ein paar Pesos Glückskekse an. Andere verkaufen tonnenweise Andenken aus Plastik, Spielsachen, Luftballone, Leuchtbälle Made in China. Der Kreativität, etwas Geld zu verdienen, sind keine Grenzen gesetzt. Künstler zeigen ihre Bilder und Gemälde, Sänger singen auf dem Platz eigene oder fremde Lieder oder tingeln von Café zu Café. Auch wenn sie der spanischen Sprache nicht mächtig sind. Sie verstehen oder erahnen die gefühlvollen Texte auf Anhieb. Sie sind universell. Nur die Reisegruppen bekommen wieder nichts mit, weil sie von einem Ende des Platzes zum anderen gejagt werden. Kenn ich das irgendwo her? Jetzt gerade, in diesem Augenblick, bin ich privilegiert ohne auch nur einen Peso auszugeben.
Wobei, das stimmt nicht ganz. Ich kann mich der Schicksale jener Menschen, denen es offensichtlich materiell wie gesundheitlich sehr schlecht geht, nicht verschließen. In meiner Hosentasche halte ich für solche Momente immer ein paar Münzen bereit.
Es gibt noch eine Reihe von Orten, die ich mir ansehen möchte. Morelia ist ein guter Ausgangspunkt, angrenzende Städte und Regionen per Bus anzusteuern. Außerdem haben Steffen und ich bei Weitem noch nicht unser ambitioniertes Programm innerhalb der Stadt abgearbeitet. Ich komme zurück.
Reiseinfo

Die Busbahnhöfe sind eine kostengünstige Alternative innerhalb von Mexiko zu reisen. In der Ankunftshalle finden Sie die Verkaufsschalter diverser Busunternehmen in den unterschiedlichsten Preiskategorien. ETN verfügt über komfortable Busse mit einem großzügigen Platzangebot, ist daher auch etwas teurer. Außerdem können Sie bei Bedarf an Geldautomaten Ihre Reisekasse wieder auffüllen und in kleinen Shops und Restaurants Reiseproviant kaufen.
Vom Busbahnhof in Morelia gibt es folgende Reisemöglichkeiten:
México Stadt in ca. 4 Stunden
Guadalajara in ca. 4 Stunden
Queretaro in ca. 3 Stunden
Uruapan in ca. 2 Stunden
Patzcuaro in ca 1 Stunde
Puebla in ca. 8 Stunden…
Alle Angaben ohne Gewähr auf Durchführung und Vollständigkeit der möglichen Reiseziele.
Komm bald wieder!
Saludos von Steffen